Wiehre für alle:
Unser Anliegen, unsere Ziele (Zusammenfassung)

Wiehre für alle:
Unser Anliegen, unsere Ziele (Zusammenfassung)

Die Standpunkte in Kürze:

  1. Die Gebäude sind sanierbar. Bei der Bewohnerschaft besteht in der sehr großen Mehrheit kein Interesse an Wohnungen zum heutigen Neubaustandard (Aufzüge, größere Wohnungszuschnitte etc.), sondern an einem behutsamen Umgang mit den Bestandsgebäuden.
  2. Die geplanten Neubauten sind nicht sozialverträglich und führen zu Gentrifizierung. Eine Verdrängung aus dem Quartier ist zu erwarten, da nur für eine Minderheit geförderter Wohnraum – noch dazu mit Befristung – vorhanden sein würde. Auch die angekündigte Vergrößerung vieler Wohnungen aufgrund des von Seiten des Vorstands angeführten „veränderten Wohnbedarfs“ wird bei einem Neubau zu Kostensteigerungen führen. Die Sozialdatenerhebung im Quartier zeigt, dass bereits die bisher günstigen Mietkosten für viele Bewohnerinnen und Bewohner eine große finanzielle Belastung darstellen.
  3. Das Ensemble zwischen den Wiehrebahnhöfen ist städtebaulich relevant. Dies wird z.B. vom Gestaltungsbeirat und dem baden-württembergischen Landesdenkmalamt bestätigt.
  4. Die Voraussetzungen für einen Dialog zwischen BewohnerInnen-Initiative und Vorstand der Genossenschaft waren von Beginn an gegeben. Vom Vorstand angekündigte Infoveranstaltungen haben nicht stattgefunden, ein Treffen mit Mitgliedern der Initiative blieb ohne Konsequenzen. Die vom Vorstand behauptete Anonymität der Initiative entspricht nicht den Tatsachen, da alle Schreiben von BewohnerInnen unterzeichnet wurden und werden. Die Initiative ist basisdemokratisch organisiert, so dass es keine festgelegten Posten/Funktionen gibt. Weitreichende Beschlüsse werden in der Vollversammlung gefasst, Koordinationstreffen bearbeiten aktuelle Anliegen, fassen weniger weitreichende Beschlüsse und bereiten die Vollversammlungen vor. Beide Treffen sind offen.

Im nachfolgenden erörtern wir, warum wir die aktuell erneut veröffentlichten Aussagen vom Vorstand der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft e.G. als fragwürdig und auch als ungerechtfertigte Schmälerung des Engagements und der Qualität der vorgelegten Ausarbeitungen von uns – den Mitgliedern der Genossenschaft – ansehen.

Unsere Standpunkte im Einzelnen:

Wir halten mit guter Begründung an unserer Forderung des Erhalts unseres bezahlbaren Wohnraums und des Quartiers fest.

  1. Sanierbarkeit der Gebäude

Im Juni 2017 erhielten die BewohnerInnen der über 300 Wohnungen des Quartiers zwischen den Wiehrebahnhöfen ein Schreiben des Vorstands, das nun mit Gutachten und Planungen für die Wohnanlage begonnen würde. Konkreteres war der Ankündigung nicht zu entnehmen. Auf telefonische und schriftliche Nachfrage4 bekamen BewohnerInnen die gleichlautende Antwort: Man prüfe nun, ob die Häuser sanierungsfähig seien und Ergebnisse wären noch im Laufe des Jahres zu erwarten. Laut eigener Aussage war das beteiligte Architekturbüro5 zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit mehreren Monaten mit der Planung von Abriss und Neuerrichtung der Quäkerstraße 1-9 beschäftigt – und das ohne eine Fachbegutachtung der Häuserzeile vorgenommen zu haben. Im September 2017 wurde den BewohnerInnen des Quartiers dann mitgeteilt, dass ihre Häuser abgerissen würden.

Im Januar 2018 legte die BewohnerInnen-Initiative „Wiehre für alle“ eine eigene Stellungnahme und Kostenschätzung eines Fachbüros zu den Gebäuden vor, die klar die Möglichkeit einer behutsamen, wenig kostenaufwendigen Sanierung der Häuserzeile aufzeigte. Daraufhin wurde der Vorstand aktiv: Er beauftragte zwei Büros nunmehr damit, eine Stellungnahme zu der Vorlage von „Wiehre für alle“ zu erarbeiten. Diese veröffentlichte der Vorstand im Juni 2018 und sah sich durch die Ergebnisse in der Annahme bestätigt, dass die Gebäude nicht sanierbar seien.

Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Ergebnissen?

Die Zielstellungen der Gebäudebewertungen unterscheiden sich fundamental: Während die BewohnerInnen laut Umfrage von „Wiehre für alle“ größtenteils mit einer bestands­erhalten­den Sanierung zufrieden wären und auf die jetzt noch bezahlbaren Mieten angewiesen sind (vgl. Bericht zur BewohnerInnen-Befragung Herbst 2017 – Teilergebnisse; Sozialdaten­erhebung), verfolgt der Vorstand das Ziel einer Sanierung in Richtung Neubau­standard im Hinblick beispielsweise auf Barrierefreiheit, Brandschutz etc. Im Vergleich zu einer solchen Vollmodernisierung der Bestandsgebäude mag eine Neuerrichtung ökonomisch sinnvoll erscheinen. Diese Standards sind aber – wie bereits benannt – für die Mehrheit der BewohnerInnen entbehrlich, während die Bezahlbarkeit des Wohnraums elementar ist.

Eine aktuell vom Vorstand der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft vorgelegte und von ihm beauftragte Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.“ aus Schleswig-Holstein kommt in Bezug auf das Abrissvorhaben zu dem Schluss, es sei „geradezu idealtypisch für eine technisch und wirtschaftlich sinnvolle, sozial ausgewogene und den übergeordneten Zielen (Barrierefreiheit, Klimaschutz und Lebensqualität) zweckdienliche Maßnahme […].6 Hier werden Barrierefreiheit, Klimaschutz und Energieeffizienz als übergeordnete Ziele zu benannt, ohne jemals mit derzeitigen BewohnerInnen der Gebäude über deren Bedürfnisse und Lebenssituation in Kontakt getreten zu sein. Darüber hinaus auch noch zu behaupten, dass Abriss/Neubau die Lebensqualität steigere, erscheint vor dem Hintergrund der enormen emotionalen Belastungen der Bewohnerschaft des von Abriss bedrohten Quartiers mit teils gesundheitlichen Folgen (vgl. Studie EIN JAHR – EINBLICK) völlig unverständlich.

Die Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.“ hebt zudem zentral auf den Aspekt des Klimaschutzes ab und betrachtet dies im Kontext der Gesamtstadt: Der Autor kommt zu dem Schluss, dass die Zielstellung im Bereich des Klimaschutzes in Freiburg nicht alleine durch Zubau energieeffizienter Neubauten und energetische Modernisierung des Gebäudebestandes erreicht werden könne. Vielmehr sei aus seiner Sicht bei Nachkriegsgebäuden wie denen in der Wiehre der „Bestandsersatz […] notwendiger Baustein, um die Klimaschutzziele zu erreichen und damit rechnerisch zwingend anzusetzen.“ (S.5). Gerade in wachsenden Großstädten wie Freiburg gehören die Quartiere der Nachkriegszeit „in der Regel zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten, um preiswert und zugleich relativ zentral wohnen zu können, und dies in einem normalerweise intakten Umfeld.“7Etwa 13 % aller Wohnungen in Freiburg wurden zwischen 1949 und 1961 errichtet. 8 Würden alle diese „aus Gründen des Klimaschutzes“ abgerissen und durch Neubauwohnungen ersetzt, ginge damit ein Großteil der letzten bezahlbaren Wohnungen verloren.

Drei Dinge sprechen dafür, die energetische Situation der Gebäude im Quartier im Hinblick auf die Frage nach Abriss/Neubau sowie energetischer Modernisierung der Bestandsgebäude sehr differenziert zu betrachten:

  1. Die sehr niedrigen Heizkosten in den Bestandsgebäuden deuten „auf eine gute Wärmedämmung der Außenwände und der Fenster hin.“9
  2. In Bezug auf energetische Aspekte von Bauvorhaben sollte grundsätzlich auch geprüft werden, wie Ressourcen- und Energieverbrauch und Abfälle bei Abriss und Neubau zu bewerten sind, siehe hierzu auch den Antrag mehrerer Ratsfraktionen zur Erhaltungsatzung10.
  3. Die Bewertung einer Maßnahme allein nach Klimaschutzeffekten genügt Nachhaltigkeitsgrundsätzen nicht; hierfür wäre eine Gesamt-Bewertung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen notwendig.

Für die Gebäude im Quartier zwischen den Wiehrebahnhöfen gilt aus unserer Sicht demnach weiterhin: Sie können behutsam saniert und erhalten werden, so dass die BewohnerInnen ihre Wohnungen behalten können.

  1. Sozialverträglichkeit“ der angedachten Maßnahmen

Seit einer „Informationsveranstaltung“ für die BewohnerInnen der Quäkerstraße vor nunmehr einem Jahr wiederholt der Vorstand der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft e.G. anhaltend, sein Vorhaben sei „keine Gentrifizierungsmaßnahme“.11 Versucht wird, diese Aussage mit der Aufzählung einer Reihe von Eigenschaften der Genossenschaft, angedachten Unterstützungsmaßnahmen sowie konsequentem Ignorieren bzw. In-Frage-Stellen des Engagements der BewohnerInnen-Initiative zu untermauern.

Kritik des Vorstands an der Sozialdatenerhebung von „Wiehre für alle“

  • Ohne eigene konkrete Erkenntnisse vorzulegen, wird vom Vorstand die Datenbasis der Sozialdatenerhebung von „Wiehre für alle“ wiederholt als zu gering kritisiert, wenn es beispielsweise in einer Pressemitteilung vom 26.06.2018 heißt: „Von 14 Prozent der Haushalte in dem betroffenen Gebiet in der Wiehre auf alle Haushalte zu schließen, ist nicht aussagekräftig.12
  • Dabei ist die Datenerhebung breit über das gesamte Quartier gestreut und die Erkenntnisse spiegeln sich auch in den Ergebnissen der Umfragen von September 2017 und Oktober 2018 wieder, die trotz teils sehr sensibler Fragen sehr hohe Rücklauf­quoten zwischen 53 % und 66 % aufwiesen. Die Vorgehensweise ist jeweils transparent dargestellt. Trotz dieser umfangreichen Erhebungen mit dem klaren Ergebnis, dass die überwiegende Zahl der Haushalte auf die bestehenden bezahlbaren Mieten angewiesen ist, wird von Seiten des Vorstands wiederholt die Behauptung aufgestellt, die Einkommensverhältnisse von wohnungssuchenden Mitgliedern würden darauf hindeuten, dass im Quartier zwischen den Wiehrebahnhöfen keine Verdrängung von Bewohner­Innen zu erwarten sei. Aus den Einkommensverhältnissen wohnungssuchender Mitglieder lässt sich jedoch keine Aussage über die finanzielle Situation und die Mietbelastung der BewohnerInnen des Quartiers zwischen den Wiehrebahnhöfen ableiten.
  • Die Ergebnisse unserer Befragungen sind eindeutig (vgl. dazu auch das Dossier „Genossenschaft und Gentrifizierung“): Es droht die Verdrängung großer Teile der Bewohnerschaft aus ihrem Wohnumfeld. Die Ergebnisse geben damit Hinweise darauf, dass eine städtebauliche Detailuntersuchung mit einer tiefgehenden Befragung der BewohnerInnen von neutraler Seite wichtige Daten liefern könnte. Auch die Stadtverwaltung kommt zu dieser Einschätzung.13 Warum die Genossenschaft nach wie vor an der Aussage festhält, eine Gentrifizierung fände nicht statt, ist daher unerklärlich.

Grundsätzliche Ausrichtung der Genossenschaft

Als Argument für einen sozialen Ansatz der Genossenschaft wird von Seiten des Vorstands angeführt, dass die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter im Gesamtbestand der Genossenschaft mit 7,01 € aktuell 1,24 € und damit 15 % unter dem Wert für die Gesamtstadt Freiburg läge. Unterschlagen wird dabei zum einen, dass der Mietspiegel der Stadt Freiburg sich nur auf Mietveränderungen der letzten vier Jahre bezieht und insofern als Vergleichsbasis nur bedingt taugt. Zum anderen hat sich der Abstand in den vergangenen Jahren kontinuierlich verringert (siehe auch Abbildung): 2007: 1,71 € (=25 %), 2012: 1,42 € (=19 %), 2017: 1,24 € (=15 %).14

  • Durch die Neuerrichtungspläne in der Wiehre würde diese Tendenz fortgesetzt werden.
  • Zwischen 2007 und 2017 ist dementsprechend eine 35%ige Steigerung der durchschnittlichen Kaltmiete pro m2 innerhalb der Genossenschaft im Vergleich zu einer „nur“ 19%igen Steigerung in der Gesamtstadt Freiburg zu verzeichnen.
  • Die Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG hat in Bezug auf die durchschnittliche Kaltmiete pro m2 die beiden anderen großen Freiburger Wohngenossenschaften Heimbau und Bauverein in den vergangenen Jahren klar überflügelt: Lagen Bauverein und Familienheim 2012 mit 5,77 € und 5,86 € nur 9 Cent auseinander, hat sich der Abstand bis 2017 bei Werten von 6,41 € zu 7,01 € auf 60 Cent mehr als versechsfacht.15

Die klare Aufwertungsneigung hin zu teurerem Wohnungsbestand (in den besseren Stadtlagen und auch auf Kosten von Altbauten), die Tendenz zu maßnahmenunabhängigen Bestandsmietenerhöhungen sowie zur gezielten Aufnahme besserverdienender Mitglieder ist im Dossier „Genossenschaft und Gentrifizierung“ im Detail aufgezeigt.

Unterstützungsmaßnahmen“ für die BewohnerInnen der Quäkerstraße

  • Es wird von Seiten des Vorstands in Aussicht gestellt, dass den BewohnerInnen der Quäkerstraße Ersatzwohnungen im Quartier zur Verfügung gestellt werden. Allerdings lag nur ein kleiner Teil der angebotenen Wohnungen im Quartier, der Großteil lag im Altbau sowie dem gerade fertiggestellten Neubau in der Falkensteinstraße. Weil viele BewohnerInnen der Quäkerstraße das Ersatzbauvorhaben nicht wünschen und ihr Recht wahrgenommen haben, ihre Dauernutzungsverträge und Wohnungen zu behal­ten, hat der Vorstand mittlerweile viele der vorgehaltenen Wohnungen an andere Genossenschaftsmitglieder vergeben, sie stehen also faktisch nicht mehr für eine Umsetzung zur Verfügung. Warum für über 40 Mietparteien im Rahmen der Infover­anstaltung am 09.11.2017 nur 30 Ersatzwohnungen in der Wiehre angeboten wurden mit dem Hinweis, am besten innerhalb von zwei Wochen Interesse dafür zu bekunden, sonst würden sie an andere Genossenschaftsmitglieder vergeben, ist nicht nachvollziehbar (Knappheitssituation).
  • Es wird von Seiten des Vorstands in Aussicht gestellt, dass die BewohnerInnen in den Umsetzwohnungen die gleiche Kaltmiete pro Quadratmeter bezahlen wie in ihren bisherigen Wohnungen. „Wiehre für alle“ liegen dagegen Dokumente vor, die zeigen, dass sich Mietsteigerungen von bis zu 1,50 € pro m2 in der Ersatzwohnung ergeben haben. Zudem ist das Angebot, die alte Miete „mitzunehmen“, auf drei Jahre befristet. Danach kann laut Umsetzvereinbarung „eine Mietanpassung im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten erfolgen.
  • Es wird von Seiten des Vorstands in Aussicht gestellt, die Mieter könnten in den Neubau zurückziehen. Der entsprechende Passus in „Wiehre für alle“ vorliegenden Umsetzungsvereinbarungen dazu lautet: „Selbstverständlich haben Sie auch die Option wieder zurück in die Quäkerstraße zu ziehen.“ Die genaue Miethöhe bei freifinanzierten Wohnungen bleibt dabei ebenso offen wie es keinen garantierten Anspruch auf eine der wenigen Sozialwohnungen gibt.
  • Es wird von Seiten des Vorstands in Aussicht gestellt, bei den Wohnungsgrößen der Umsetzwohnungen den Bedarf der aktuellen MieterInnen soweit möglich zu berücksichtigen. Allerdings lagen beispielsweise 13 der angebotenen Umsetz-wohnungen in der Wiehre im gerade fertiggestellten Gebäude Falkensteinstr./ Ecke Talstraße mit in der Regel deutlich größeren Wohnungszuschnitten (so z.B. zwei Zwei-Zimmer-Wohnungen mit etwa 62 bis 64 m2 statt kleinere Zwei-Zimmer-Wohnungen der Quäkerstr. mit ca. 50 m2 sowie drei Drei-Zimmer-Wohnungen mit 93 m2 statt Drei-Zimmer-Wohnungen in der Quäkerstr. mit max. 66 m2) – was zu höheren Gesamtmieten führt.
  • Von Seiten des Vorstands wird ein Anteil von 30 % über das Landeswohnraumförder­programm geförderter Wohnungen (= Sozialwohnungen) in Aussicht gestellt, was einer Anzahl von 16 Wohnungen entspricht. Dabei wird darüber hinweggegangen, dass selbst diese mit 7,50 € pro m² deutlich über dem jetzigen Durchschnitt von 6,71 € pro m² liegen würden (+11 %), was insbesondere bei größeren Wohnungszuschnitten und den damit auch höheren Nebenkostenanteilen ins Gewicht fällt. Auch werden zu der Bindungsdauer trotz Nachfragen der BewohnerInnen anhaltend keine Angaben gemacht. Da die derzeitigen BewohnerInnen ihrem Einkommen nach fast alle zur Anmietung einer geförderten Wohnung berechtigt wären, müssten sie sich um die wenigen geförderten Wohnungen streiten. Die Anmietung einer frei finanzierten Wohnung zu 10 € pro m2 könnten sich die wenigsten BewohnerInnen leisten. Gegenwärtig existieren 42 bezahlbare Wohnungen ohne befristete Sozialbindung.
  • Es wird von Seiten des Vorstands in Aussicht gestellt, „Härtefälle“ individuell zu begleiten. Mit dieser Suche nach individuellen Lösungen wird verschleiert, dass es um kollektive Lösungen für die ganze Bewohnerschaft geht, die allergrößtenteils in den Häusern bleiben möchte, in denen sie wohnt und die charakteristisch für eine Bevölkerungsschicht in Freiburg ist, die im Mietmarkt zunehmend „unter die Räder kommt“ und deren Verbleib in der Stadt an genau solche Wohnungsbestände wie die in der Wiehre noch vorhandenen gebunden ist.

Detailliertere Ausarbeitungen finden sich im Dossier „Genossenschaft und Gentrifizierung“.

  1. (Fehlende) Würdigung städtebaulicher Qualitäten

Der Vorstand hielt sich bisher zwar mit Aussagen zur baukulturellen Bedeutung des Quartiers zurück, das konsequente Ignorieren des klaren Votums des Gestaltungsbeirats der Stadt Freiburg (siehe unten) seit nunmehr einem Jahr seitens des Familienheim-Vorstandes weist allerdings darauf hin, dass diese Dimension für den Vorstand nachrangig bis irrelevant scheint. Durch den Versand der Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.“ an die Fraktionen und Gruppierungen des Freiburger Gemeinderats am 16.11.2018 kann davon ausgegangen werden, dass sich der Vorstand die dort präsentierte Einschätzung der städtebaulich-historischen Dimension des Quartiers zu eigen macht: „Gebäude dieser Art sind an zahlreichen Standorten bundesweit erhalten. Es handelt sich also um ein unauffälliges Massentypengebäude, von denen es genügend Beispiele gibt, die erhalten bleiben. Insofern ist eine kulturelle Bewertung von einzelnen Standorten – gleichgültig an welcher Stelle in Deutschland – aus unserer Sicht baukulturell nicht besonders relevant.“ (S.2).

Verschiedene Experten bewerten dies völlig anders:

  • Der Gestaltungsbeirat der Stadt Freiburg kommt – unter anderem auf Basis eines Ortsbesuches – zu dem Schluss: „Die Anlage in der Wiehre stellt ein beeindruckendes Beispiel genossenschaftlichen Wohnens dar und ist in seinen Grundzügen gut erhalten. […] Der Beirat ist der Auffassung, dass die Eigentumsverhältnisse und die Intaktheit des Ensembles eine seltene Chance bieten, eine den Bedürfnissen und den baulichen Gegebenheiten angepasste behutsame Sanierung und Modernisierung vorzunehmen. Ziel dabei sollte es sein, die Identität des Quartiers zu erhalten und den Charakter des gesamten Ensembles in seinen städtebaulichen, architektonischen und freiraumplanerischen Qualitäten zu stärken. Der Beirat bietet bei dem wichtigen Projekt gerne seine Mitwirkung an […].16
  • Das baden-württembergische Landesdenkmalamt befindet nach eingehendem Studium der alten Baupläne der Siedlung: „Insgesamt kann der Komplex […] als städtebaulich interessantes, erhaltenswertes ‚Ensemble angesprochen werden […].17
  • Und auch die Arbeitsgemeinschaft Freiburger Stadtbild spricht sich nach mehrfacher Begehung des Quartiers und der Gebäude für den Erhalt des Ensembles aus: „Baugenossenschaften schufen in ihrer frühen Historie in der Regel ‚weder Einfachstwohnungen noch Mietskasernen, sondern zweckmäßige und zugleich wohnliche Behausungen – eben mehr als nur ein Dach über dem Kopf, mehr als nur Schutz gegen die Unbilden der Witterung: ein Zuhause mit den Möglichkeiten, die eigenen Persönlichkeiten zu entfalten. Deshalb auch waren die Genossenschaftssiedlungen nur selten eine triste Aneinanderreihung von Häusern. Ganz bewusst wollten die Genossenschafter neue Formen des Miteinander, der Kommunikation, der gegenseitigen Hilfe schaffen. Die Familienheim-Siedlung in der Wiehre […] lässt sich als herausragendes und weitgehend im Originalzustand erhaltenes positives Beispiel für ein solches genossenschaftliches Bauen charakterisieren.18

Insofern erscheint die aus Kiel gestellte Ferndiagnose, es handele sich um ein „unauffälliges Massentypengebäude“ von sehr geringer baukultureller Relevanz, mehr als fraglich.

  1. Umgang mit der BewohnerInnen-Initiative von Seiten des Vorstands

Der Vorstand der Familienheim Freiburg Baugenossenschaft eG versucht, das Engagement der BewohnerInnen des Quartiers zwischen den Wiehrebahnhöfen zu schmälern oder ignoriert es schlichtweg. Es wurde vorstehend auch gezeigt, dass sich bei näherem Hinsehen oft Widersprüche in den öffentlichen Aussagen des Vorstands finden und sich die Basis der Äußerungen häufig als wenig belastbar herausstellt.19 Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf folgende – bereits einleitend zitierte – Aussagen20:

In der Genossenschaft herrscht Unverständnis und Irritation über das Anliegen und die Vorgehensweise sowie das Fehlen verantwortlicher Ansprechpartner auf Seiten der Mieterinitiative. Vertreter und Mitglieder aus der Wiehre und anderen Stadtteilen unterstützen Vorstand und Aufsichtsrat.“

Es stellen sich in Bezug auf diese Aussagen folgende Fragen:

  • Welcher Personenkreis ist gemeint, wenn es „in der Genossenschaft“ heißt? Was ist die Basis für diese weitreichende Aussage, die das Engagement von MitgenossInnen genossenschaftsintern wie in der Außenwahrnehmung in ein schlechtes Licht rückt?
  • Wie kann es sein, dass Unverständnis und Irritation über das Anliegen der BewohnerInnen herrscht, die Gebäude zu erhalten, sind sie doch weit überwiegend auf den bezahlbaren Wohnraum angewiesen und in soziale Netze im Quartier eingebettet? Bei wem konkret herrscht Unverständnis und Irritation?
  • Warum besteht Unverständnis und Irritation über die Vorgehensweise der BewohnerInnen-Initiative, wurde doch seit Juli 2017 über mehrere Monate hinweg in sehr konstruktiver Weise durch Befragungen lediglich die Perspektive der Betroffenen sichtbar gemacht hat– ohne damit allerdings bei Vorstand und Aufsichtsrat auf Gehör zu stoßen. Dass nach diesen gescheiterten genossenschaftsinternen Versuchen einer Würdigung der sozialen Situation der Bewohnerschaft eine Hinwendung an Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung erfolgte, erscheint uns ein angemessenes, legitimes und legales Vorgehen.
  • Warum wird wiederholt auf die angeblich nicht vorhandene Ansprechbarkeit der BewohnerInnen-Initiative verwiesen, hat doch ein bereits im letzten November stattgefundenes persönliches Treffen einer Delegation von BewohnerInnen mit dem Vorstand keine Folgen gehabt? Weder wurde eine angekündigte Informations­veran­staltung für alle BewohnerInnen des Quartiers durchgeführt noch eine in Aussicht gestellte detaillierte Befragung der BewohnerInnen, um deren Bedürfnisse und Wünsche zu erfragen – wie dargestellt, werden aber die Ergebnisse unserer eigenen BewohnerInnen-Umfrage angezweifelt. Auch eine in Aussicht gestellte Offenlage der Entscheidungsgrundlagen für den Abriss der Quäkerstr. 1-9 erfolgte nicht. Kein Akteur aus Politik, Verwaltung, Bürgervereinen oder von der Presse hatte in den vergangenen mehr als 12 Monaten Schwierigkeiten, Kontakt mit der BewohnerInnen-Initiative aufzunehmen und Vereinbarungen zu treffen.
  • Wie viele Mitglieder und MitgliedervertreterInnen unterstützen wirklich die Politik des Vorstands? Welche Umfragen unter den Mitgliedern und/oder protokollierte Abstimmungsergebnisse aus Versammlungen liegen dazu vor? Tatsache ist, dass laut jüngster Umfrage 98 % der BewohnerInnen des Quartiers hinter den Forderungen zum Erhalt des bezahlbaren Wohnraums und des Quartiers stehen und 96 % von ihnen ihre Interessen von „Wiehre für alle“ vertreten sehen (vgl. Studie EIN JAHR – EINBLICK).
  1. Fazit

Alle unsere bisherigen Aktivitäten dienten in konstruktiver Weise dazu, die Perspektive der BewohnerInnen darzustellen. Wir halten weiterhin – und dies mit einer stichhaltigen Begründung – an der Forderung nach Erhalt des Quartiers und des bezahlbaren Wohnraums fest.

Durch die BewohnerInnen-Initiative bisher erstellte Studien, Analysen und Befragungen:

  • Bericht zur Befragung der Bewohnerschaft in den Familienheim-Gebäuden im Quartier am Wiehrebahnhof (Herbst 2017) 

  • Kostenschätzung zur behutsamen Sanierung der Häuserzeile Quäkerstr. 1-9 

  • Sozialdatenerhebung zur Bewohnerstruktur des Quartiers 

  • Dossier „Genossenschaft und Gentrifizierung“ 

  • EIN JAHR – EINBLICK. Studie zum Gentrifizierungsprozess im Genossenschaftsquartier zwischen den Wiehrebahnhöfen und dem demokratischen Widerstand dagegen

Abrufbar unter: www.wiehre-für-alle.de